11 Mädchen – 2 Jungs – 1 Herr Meier – eingesperrt für zwei Jahre –
im Container des Deutsch-LK
Es war schon immer ein „unerfüllbarer Traum“ des Gerald M. ins Big-Brother-Haus einzuziehen, denn er „würde es total gerne machen, aber er würde es nicht wollen.“ Dieser etwas antithetische Verhinderungsgrund führte schließlich zu dem Entschluss des Herrn M. seinen eigenen Container aufzumachen.
Und so kam es dann auch: Am 15. September 1999 zogen elf Mädchen und damals noch drei Jungs in den Deutsch-LK-Container ein. Gleich als erstes wurde geklärt, wer wann sprechen darf und warum. Denn vor allem Simone verwirrte mit unkontrollierten Zwischenrufen die Koordination des Herrn M., so dass ein Orten der Herkunft dieser Aussagen für ihn nicht immer möglich war. Bei den unzähligen späteren Diskussionen über Sinn und Unsinn der Bildzeitung und diversen Soaps, sowie die Notwendigkeit der Verwendung von Fébrèze und des unbedingten Aufnehmens aller Big-Brother-Sendungen, um auch wirklich kein Ereignis zu verpassen, erwies sich diese Regelung als sehr vorteilhaft.
Auch ansonsten stand der Deutsch-LK-Container dem echten in nichts nach. Angefangen mit Fressorgien (30 Gebäckstücke für ca. acht Leute, Plätzchen und Jeles sündige Kugeln) über Dr. Sommer ähnliche Gespräche – man erfuhr z.B. dass Herr M. früher Nachtwache in der Psychiatrie hielt und erst einmal in seinem Leben betrunken war... und zwar als neunjähriger, sowie von seiner absoluten Präferenz von Vanille-Duft beim weiblichen Geschlecht – bis hin zum freiwilligen Auszug eines männlichen Bewohners namens Christian (!) glich unser Container dem Original bis aufs Haar.
Auch das sprachliche Niveau passte sich im Laufe der Zeit den rhetorischen Fähigkeiten unserer großen Vorbilder an. Schriftsteller der NS-Zeit wurden als „persönliche Kotzbrocken“ deklariert und alle Mädchen in Ostdeutschland als „Peggy, Cindy oder Mandy“ abgestempelt. Die DDR erwies sich auch ansonsten als fesselndes Thema, besonders Herrn Meiers Ansicht über die dortigen Kindergärten: „In so einen Kindergarten würde ich mein Kind – wenn ich mal groß bin und eines habe – sowieso nicht stecken. Die waren wie Hühnerställe!“
Daneben wurden so brisante Fragen wie „Gibt es an unserer Schule eigentlich eingelegte Embryos?“ erörtert. Imaginäre Zuschauer hätten wir mit eigenwilligen Interpretationen von Grimms Märchen begeistern, naja, vielleicht eher erschüttern können. Hier nur einige Auszüge:
• Bedeutung des roten Käppchens: rot = Menstruation -> verführbares, gereiftes Mädchen
• Ermahnung der Mutter an Rotkäppchen, nicht „vom Pfade wegzulaufen“ und „die Flasche nicht zu zerbrechen“ = Pfad der Tugend nicht verlassen (Keuschheit und Tugend nicht verlieren!) / Zerbrechen der Flasche = Verlust der Jungfräulichkeit
• Verschlingen der Großmutter durch den Wolf:
a) unbewusster Neid der Männer selbst schwanger zu sein -> Gebärfähigkeit wird indirekt (auch mit alter Frau) umgesetzt
b) positive (!) Vergewaltigung: Vergewaltigung einer Frau durch Auffressen -> Paradoxer Vorgang: sie dringt in ihn ein und nicht er in sie
• Rotkäppchens Fragen an den Wolf: Sexuelle Neugier des pubertierenden Mädchens -> es fehlt eigentlich nur die Frage: Warum hast du so einen großen Schwanz?
usw.
aus: Tiefenpsychologische Interpretation von Märchen nach Erich Fromm
Aufklärungsarbeit leistete Herr M. auch hinsichtlich der Psyche der weiblichen Container-Besucher: „Frauen wollen ja immer romantische Männer... Zumindest liest man das immer in Frauenzeitschriften.“
Doch der imaginäre Zuschauer hätte auch so manches Mal glauben können, er habe sich verzappt und sei statt bei „Big Brother“ bei diversen Quiz-Sendungen gelandet:
Glücksrad. Man stelle sich folgende Szenerie vor:
Herr M. sucht schon seit einigen Minuten nach einer Epoche: „Es fängt mit ‚R‘ an. R... Rrr... Rrroo...“
Caro: „Ich kaufe ein ‚E‘!“
Möglich wäre auch „Wer wird Millionär?“:
Herr M.: „Wann schrieb Süskind „Das Parfum“? a) 1951 b) 1879 c) 1360 d) 1985“
Jele: „Ich hätte gerne den Publikumsjoker!“
Mit folgenden Ausschnitten wäre auch Jeopardy denkbar gewesen:
Herr M.: „Das Gegenteil von Teufelkrieg und Obergeschoss!“
(gesucht war ‚Gottfried Keller‘)
oder:
Herr M.: „Es fängt an wie ein Kakaotrunk!“
(gesucht war ‚Kabarett‘)
Bezeichnend für unser geistiges Niveau war auch die Tatsache, dass wir unsere Wochenaufgaben, wenn es denn welche gab, nie erledigten, sondern beim Anblick von 30 Millionen Arbeitsblättern, liebevoll verziert mit Enten und Goofies, resignierten und uns lieber dem völligen Wahnsinn hingaben. Einige mussten für nicht enden wollende Lachanfälle so manche Rüge hinnehmen (gell, Vera und Co), Wieczi sorgte durch Irrungen und Wirrungen bei der Epochenwiederholung für allgemeine Erheiterung, andere hielten im Unterricht ihren wohlverdienten Mittagsschlaf (ausgeschlafen Caro?). Und obwohl die „kleine Waage“ am Lehrerpult sonst „sehr sensibel“ ist, begegnete sie dem LK „zum Weglaufen“ mit cooler Gelassenheit (ein Pleonasmus!) und ging mit immerwährendem Lächeln zur Tagesordnung über.
Zur musikalischen Untermalung trug Herr M. durch seine mit Liebe komponierten Lieder bei, die uns alle trotz der überproportionalen Lautstärke wirklich erstaunten und erfreuten, sowie durch seinen einzigartigen Schnüffel-Räusper-Rap, mit dem er uns jede Stunde aufs Neue erheiterte.
Manchmal war ihm auch alles „Würschtla“, selbst wenn wir alle unsere Referate immer wieder auf den St. Nimmerleinstag verschoben. Sogar kleinere – eventuell auch größere – Streitereien wurden durch unser allgemeines Harmoniebedürfnis schnell wieder aus der Welt geschafft.
Am 16. Mai 2001 zogen dann alle Bewohner aus dem Container aus und unser Big Meier befindet sich in hoffentlich freudiger Erwartung auf die zweite Staffel.
Und wer der Sieger war? Sieger waren wir eigentlich alle, denn Spaß war uns allen garantiert! Danke für die letzten zwei Jahre, Herr Meier!
Vera, Gwenny, Corina und Jelena
Ach, jetzt hätten wir fast etwas vergessen: Es ist beides möglich!
„Wilhelm Tell“
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